Wenn das nicht geschehen wäre by Anny von Panhuys

Wenn das nicht geschehen wäre by Anny von Panhuys

Autor:Anny von Panhuys [Panhuys, Anny von]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-06-05T00:00:00+00:00


11.

Die ‚Flicktante’, wie Elisabeth sie manchmal nannte, war eine Frau, der man sofort die Blutsverwandtschaft mit der Nichte ansah. Zierlich war sie und kraushaarig, nur spannen sich schon viele graue Fäden in ihr Haar, und die Augen, die wohl auch einmal ‚Rehaugen’ gewesen, verdeckte eine scharf geschliffene Brille. Wäschenähen und Ausbessern hatte ihre Augen überanstrengt.

„Wo bist du denn nur so lange geblieben heute?“ fragte die kleine Näherin.

„Wir hatten viel zu tun,“ war die Antwort.

„Warum lügst du mich an?“ fragte Ida Becker vorwurfsvoll. „Ich war vor ’ner halben Stunde bei Harnisch, weil die Glühbirne in der Küche durchbrannte und hab’ ’ne neue geholt. Hintenherum, privat, als zukünftige Verwandte. Als ich unten gewesen bin, warst du schon lange weg.“

Elisabeth seufzte: „Du behandelst mich, als wenn ich bei dir in Zwangserziehung wäre. Aber wenn du’s durchaus wissen musst: Ich hatte Kopfweh und bin deshalb noch ein bisschen durch die Luft gelaufen.“

Die unverheiratet gebliebene Schwester von Elisabeths Mutter schüttelte den Kopf:

„Warum bist du immer gleich grundlos so schroff zu mir, Kind, ich meine es doch nur gut mit dir.“

Die Ehe mit einem Mann, den sie sehr gern gehabt, hatte Ida Becker ausgeschlagen, weil der Mann von ihr verlangte, sie sollte sich von der kleinen Nichte trennen. Sie hatte sich oft nachreden lassen müssen, Elisabeth wäre ihr eigenes Kind, und sie hatte nur gesorgt für das Mädchen, das die Eltern allzu früh verlor, aber sie wusste auch, Elisabeth sehnte glühend den Tag der Freiheit von ihr herbei. Sie litt darunter, und immer war ein banges Hoffen in ihr, Elisabeth würde doch noch eines Tages erkennen, wie gut sie es mit ihr gemeint, immer und immer. Es tat ihr oft weh, dass sie von dem Mädel, an das sie mütterlich ihr Herz gehängt hatte, so grundfalsch beurteilt wurde.

In dieser Nacht fand Elisabeth, die sonst einen guten, festen Schlaf hatte, keine Ruhe. Fortwährend schreckte sie aus qualvoller Wirrnis wüster Träume auf und erinnerte sich sofort an ihren abendlichen Spaziergang mit dem Fremden, von dem sie weiter nichts als seinen Namen wusste und seinen Wohnort, der weit von hier lag.

Wien war es, die Hauptstadt Österreichs. ‚Wiener Walzer, Wiener Mädel, Wiener Fiaker und der Wiener Wald!’ zog es durch ihr Hirn, aber sie begriff nicht, wie Bärenklaus Name und der Ortsname Wien für die Anschrift eines Briefes an ihn genügen sollte. Sie hatte gelesen, Wien besass fast zwei Millionen Einwohner, und wenn die Post dort, ohne dass Strasse und Hausnummer angegeben waren, wusste, wo sie in der grossen Stadt einen bestimmten zu suchen hatte, konnte es sich um keinen kleinen Alltagsmenschen handeln. Dann musste dieser Knud Bärenklau wohl schon ein Besonderer sein. Dieser Mann, der sie so zusammengeschimpft hatte, dass eigentlich kein Hund mehr ein Stück Brot von ihr nehmen dürfte. Ein paarmal wachte sie auf und fühlte Tränen auf ihrem Gesicht. Sie warf sich im Bett herum und rief den Schlaf herbei — doch wenn er kam, war er wieder nur kurz und glich einer Lähmung, einem Alpdruck. Sehr blass nahm sie morgens am Frühstückstisch Platz. Die Tante



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